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8. Dezember 2017

„Städte legen den Einzelhändlern große Steine in den Weg.“

Dass der stationäre Einzelhandel es so schwer hat, müsste gar nicht sein, sagt Prof. Dr. Gerrit Heinemann. Denn mit ein paar kleinen Veränderungen könnte viel besser auf die Bedürfnisse der Kunden eingegangen werden. Welche das sind und wieso sich die Händler damit teilweise sehr schwer tun, erklärt er im Interview.

Prof. Dr. Heinemann, Leiter des eWeb Research Center und Professor für Handel an der Hochschule Niederrhein

Die Problematik des Einzelhandels liegt Ihrer Meinung nach klar in der Trägheit, auf Kundenwünsche und modernes Kaufverhalten einzugehen. Während Verbraucher auf digitale Angebote und eine starke Präsenz im Netz setzen, beharren viele Händler auf gedruckten Katalogen und klassischen Öffnungszeiten. Wieso tun sie sich so schwer, den Kundenwünschen entgegenzukommen?

Professor Dr. Gerrit Heinemann: Wir müssen zwischen vier verschiedenen Gruppen von Händlern unterscheiden: Online-Händler „Made in Germany“ wie Zalando, Zooplus und auch Aboutyou stehen internationalen Riesen wie Amazon in Sachen Digitalisierung in nichts nach. Dann gibt es die klassischen Versandhändler wie Otto, die verstanden haben, dass der Versandhandel einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess durchläuft. Sie tun alles, um ein zeitgemäßes Online-Angebot bereitzustellen. Gruppe Nummer drei sind die Filialisten. [Anmerkung der Redaktion: Einzelhandelsunternehmen, das über mehrere Filialen verfügt.] Gerade die mittelständischen und inhabergeführten Unternehmen dieser Gruppe haben die Wichtigkeit eines funktionierenden Online-Angebots verstanden. Sie wissen: Von nichts kommt nichts und ohne Investitionen lässt sich in diese Richtung gar nichts erreichen. Bliebe also noch die vierte Gruppe, und zwar die nicht-filialisierten lokalen Einzelhändler. Das Problem bei diesen ist erschreckend simpel: Mindestens die Hälfte will schlicht und ergreifend einfach nicht und hat eine regelrechte digitale Allergie! Was so einfach klingt, ist in Wirklichkeit dramatisch – denn durch diese Einstellung werden viele von ihnen die nächsten zehn Jahre im stationären Handel nicht überstehen.

Wie kommt es, dass der lokale Einzelhandel so zu kämpfen hat?

Professor Dr. Gerrit Heinemann: So schlimm, wie es aktuell ist, müsste es ja nicht sein – mit kleinen Justierungen kann der einzelne Händler durchaus seine Situation verbessern. Das Problem ist, dass nicht-filialisierte Einzelhändler in den letzten Jahren stark an Bedeutung verloren haben. So kommt der lokale Handel auf vielleicht noch 15% Marktanteil mit stark sinkender Tendenz. Oft ist das Geschäft kaum noch rentabel und immer sitzt das Risiko des Scheiterns auf der Schulter. Um sich von der breiten Masse und den Mitbewerbern abzuheben, braucht man etwas Besonderes, was die Kunden schätzen. Das kann ein Sortiment sein, was so nicht überall zu finden ist oder auch eine ganz persönliche und kompetente Beratung. Optimal wäre natürlich beides.

Welche Schlüsse können die Händler also daraus ziehen?

Professor Dr. Gerrit Heinemann: Ganz einfach: Alles ist möglich, aber man muss etwas dafür tun und das ist eigentlich auch nicht teurer als in der alten Welt! Ob ich jetzt ein Schaufenster in meinem Laden liebevoll dekoriere oder meinen Online-Auftritt aktualisiere – die Wertigkeit sollte dieselbe sein. Und ein Schaufenster aus „Steine und Erden“ ist mit Sicherheit erheblich teurer als ein digitales Schaufenster!

Welche Rolle spielen die Städte und Gemeinden? Was können (und müssen) sie dazu beitragen, den lokalen Einzelhandel wieder mehr ins Bewusstsein der Verbraucher zu rücken und ihm auch eine gewisse Wertigkeit zu geben?

Professor Dr. Gerrit HeinemannTatsächlich spielen die Städte und Gemeinden eine herausragende Rolle – leider überwiegend nicht im positiven Sinne. Gerade sie sind es nämlich, die den Einzelhändlern oftmals große Steine in den Weg legen und deren Existenzen gefährden.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Professor Dr. Gerrit Heinemann: Parkplatzsituationen – immer wieder ein Streitthema. Wenn Parkhaus um Parkhaus geschlossen wird, keine neuen Parkmöglichkeiten geschaffen werden, Innenstädte womöglich auch noch autofrei gemacht werden sollen, dann braucht sich auch keiner über schwindende Kundenzahlen wundern. Auf der einen Seite Vielfalt und Leben im Ortszentrum erreichen zu wollen und auf der anderen Seite solche verbraucherunfreundlichen Maßnahmen durchzusetzen, funktioniert nicht. Die Gewinner aus diesem Dilemma sind die großen Shoppingcenter mit tausenden von Parkplätzen, in denen sich ein internationales Franchise-Unternehmen ans nächste reiht. Für den lokalen Einzelhändler ist da kein Platz.

Wie könnte man diese Situation lösen?

Professor Dr. Gerrit Heinemann: Durch mehr Flexibilität seitens der Behörden. Und zwar in so vielen Punkten: Öffnungszeiten, Veränderung der Ladenflächen, Renovierungen, Gestaltung der Ortskerne etc. Wichtig ist, überflüssige Reglementierungen zu minimieren.


Über uns:
Die Initiative für Gewerbevielfalt setzt sich für den lokalen Einzelhandel und inhabergeführte Kleingewerbe in Deutschlands Städten und Gemeinden ein.
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